Beeiträchtigt es das Persönlichkeitsrecht von Personen mit nicht-binärer Geschlechtsidentität, wenn beim Online-Vertragsschluss zwischen der Anrede „Frau“/“Herr“ gewählt werden muss? Mit der Frage ob die verpflichtende Auswahl der Anrede unzulässig ist, beschäftigte sich das Landgericht Frankfurt am Main.
Ein Unternehmer, der seine Produkte und Dienstleistungen auch über das Internet anbot, wurde von einer Privatperson verklagt. Die klagende Person besitzt eine nicht-binäre Geschlechtsidentität. Sie nahm den Unternehmer auf eine Entschädigung in Geld und Unterlassen in Anspruch, weil sie sich bei der Nutzung von Angeboten des Unternehmers und in der Kommunikation mit ihm wegen ihrer Geschlechtsidentität diskriminiert sah.
Der Grund für die angebliche Diskriminierung sah die Person im Internetauftritt des Händlers. Voraussetzung für den Kauf war die verpflichtende Auswahl der Anrede. Der Käufer musste sich also zwingend für die Anrede „Herr“ oder „Frau“ entscheiden. Eine geschlechtsneutrale Anredeoption war nicht verfügbar. Entsprechend der getätigten Auswahl von entweder „Herr“ oder „Frau“ erfolgte die Ansprache von Kunden seitens des Unternehmers in Kommunikation bei der Abwicklung getätigter Käufe, bei Reklamationen oder in Werbezuschriften.
Die Person mahnte den Unternehmer zunächst ab, forderte die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung und zur Zahlung einer Geldentschädigung i.H.v. 5.000,00 € auf. Nachdem das Abmahnverfahren ohne Erfolg blieb, erhob die Person Klage beim LG Frankfurt a. M. Ein im schriftlichen Vorverfahren ergangenes Versäumnisteilurteil zugunsten der klagenden Person griff der Unternehmer mittels Einspruchs an und beantragte die Abweisung der Klage.
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz nicht verletzt
Das LG Frankfurt a. M. (Urt. v. 03.12.2020, Az. 2-13 O 131/20) urteilte zugunsten der nicht-binären Person. Lediglich den Anspruch auf eine Entschädigung in Geld sprach das Gericht der klagenden Person nicht zu.
Zunächst machte das Gericht deutlich, dass der Unterlassungsanspruch gegenüber dem Unternehmer nicht aus dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) hergeleitet werden kann. Ein solcher Verstoß sei bereits deshalb nicht gegeben, da eine Benachteiligung bei Begründung, Durchführung oder Beendigung des Vertrag nicht erfolgt war.
Die klagende Person war weder hinsichtlich der Begründung (Vertrag kam zustande) noch der Durchführung (Vertrag hatte keinen ungünstigeren Inhalt) oder Beendigung des Vertrages benachteiligt.
Verpflichtende Auswahl der Anrede verletzt Persönlichkeitsrecht
Das LG Frankfurt a. M. sprach der klagenden Person jedoch einen Unterlassungsanspruch nach den allgemeinen Regeln des BGB zu.
Zunächst stellte das Gericht fest, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch unter anderem die geschlechtliche Identität, „die regelmäßig ein konstituierender Aspekt der eigenen Persönlichkeit ist“, schütze. Da der Unternehmer die klagende Person gezwungen habe, eine der beiden eindeutig geschlechtsspezifischen Anreden (Frau/Herr) zu wählen, sei diese in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt gewesen. Dies folge daraus, da sich die Person einem dieser Geschlechter zwingend zuordnen musste, was jedoch nicht ihrer Identität entsprach.
Des Weiteren wies das Gericht auch der Tatsache, dass in der Geburtsurkunde der klagenden Person noch ein Geschlecht eingetragen ist, keine Bedeutung für den Rechtsstreit zu. Es sei ausreichend, wenn sich eine Person selbst dauerhaft – wie hier – einer Geschlechtsidentität, z.B. der nicht-binären Geschlechtsidentität, zuordne.
Auch sei es für die Frage der Zumutbarkeit für den Unternehmer im Verhältnis zur klagenden Person belanglos, dass die Gruppe der Personen mit nicht-binärer Geschlechtsidentität im Vergleich zur Gesamtbevölkerung sehr klein sei.
Fazit
Um entsprechende Auseinandersetzungen zu vermeiden, sollten Webseitenbetreiber auf die Anrede als verpflichtend soweit möglich verzichten oder eine weitere Auswahlmöglichkeit für Menschen mit nicht-binärer Geschlechtsidentität hinzufügen.
Artikel als PDF speichern