Ist die Verdachtsberichterstattung eines Verlages über ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren gegen einen Zahnarzt zulässig, wenn der Beschuldigte zwar nicht namentlich genannt wird, aber aufgrund mitgeteilter Einzelheiten unschwer identifizierbar ist? Mit der Rechtsfrage der Grenzen einer identifizierenden Berichterstattung hatte sich das Oberlandesgericht Karlsruhe zu beschäftigen.
Ein Zahnarzt wehrte sich im Rahmen eines Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gegen einen Bericht eines Zeitungsverlages, indem über ein gegen den Zahnarzt laufendes Ermittlungsverfahren berichtet wurde, bei dem es um die Durchführung und Abrechnung medizinisch nicht indizierter Behandlungen ging.
Die Veröffentlichung auf dem Nachrichtenportal des Verlages enthielt neben einer erneuten Berichterstattung über die Ermittlungen auch Äußerungen der Staatsanwaltschaft und des Vizepräsidenten der zuständigen Landeszahnärztekammer über die Vorwürfe.
Der Kläger trägt vor, er sei anhand der in dem Artikel enthaltenen Angaben identifizierbar, da in dem Bericht persönliche Einzelheiten über den namentlich nicht genannten Zahnarzt wiedergegeben wurden, welche sich auch auf der Internetseite der Zahnarztpraxis wiederfinden. So führe die Kombination des Wortes Zahnarzt, des Städtenamens „A.“ und einer Werbeäußerung in der Suchmaschine google.de dazu, dass als erster Suchtreffer ein Link auf die Internetseite der Praxis des Klägers verweise.
Nach Auffassung des Zahnarztes hat der Verlag diese identifizierenden Berichterstattung zu unterlassen, da deren Prangerwirkung sein allgemeines Persönlichkeitsrecht verletze.
Dies sah der Zeitungsverlag anders und ließ es auf eine gerichtliche Auseinandersetzung ankommen.
Entscheidung des Gerichts
Das Oberlandesgericht Karlsruhe entschied mit Urteil vom 02.02.2015 – 6 U 130/14 – dass die angegriffene Berichterstattung zwar in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers eingreife, aber angesichts des Informationsinteresses der Öffentlichkeit zulässig sei.
Der in dem Artikel wiedergegebene Vorwurf, medizinisch nicht indizierte Behandlungen vorgenommen und abgerechnet zu haben sei ohne weiteres geeignet, den sozialen Geltungsanspruch des so verdächtigten Zahnarztes in erheblichem Maße zu beeinträchtigen. Dies gelte unabhängig von der Frage, ob die in der Berichterstattung aufgeworfenen Vorwürfe als erwiesen dargestellt würden oder nicht.
Andererseits gehöre eine Berichterstattung über mögliche Missstände zu den grundlegenden Aufgaben einer freien Presse. Daher dürften einem Verlag die Veröffentlichung von Tatsachenbehauptung, deren Wahrheitsgehalt ungeklärt ist und die eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Angelegenheit betreffen, solange nicht untersagt werden, wie er sie zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für erforderlich halten darf.
Hier überwiegen die Informationsinteressen der Öffentlichkeit unter den Gegebenheiten des Streitfalls die Geheimhaltungsinteressen des Klägers.
Der beanstandete Artikel sei nach einer Abwägung der Informationsinteressen der Öffentlichkeit und den widerstreitenden Geheimhaltungsinteressen des Zahnarztes nicht zu beanstanden und halte sich im Rahmen einer zulässigen Verdachtsberichterstattung.
Fazit
In diesem Fall hat das OLG Karlsruhe entschieden, das die identifizierende Berichterstattung trotz deren Prangerwirkung zulässig ist. Für den Zahnarzt – sollte dieser unschuldig sein – ist das Ergebnis natürlich ganz bitter, da die Verdachtsberichterstattung wirtschaftliche Folgen haben wird.
Dies zeigt, dass diese Fälle selten eindeutig sind und einer spezialisierten Beratung bedürfen.
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