OLG Düsseldorf, AG München:

Persönlichkeitsverletzungen zwischen den Zeilen

Werden in der Presse oder den Medien über eine Person unwahre Behauptungen aufgestellt oder ihre Ehre verletzt, kann sich der Betroffene aufgrund seines Allgemeinen Persönlichkeitsrechts hiergegen wehren. Besonders kritische Äußerungen werden allerdings oft nicht offen ausgedrückt, sondern nur verdeckt, so dass sich die unwahre Behauptung oder Ehrverletzung nur aus dem Zusammenhang ergibt. Auch Aussagen „zwischen den Zeilen“ können aber zu einer Rufschädigung führen. Inwiefern gegen solche verdeckte Äußerungen Ansprüche geltend gemacht werden kann, ist allerdings umstritten.


KPW000V1 (13)Bereits nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Fall des ehemaligen Bundesverkehrsministers und Ministerpräsidenten von Brandenburg Manfred Stolpe (Beschluss des BVerfG vom 25.10.2005, Az.: 1 BvR 1696/98)  ist einer auf die künftige Unterlassung einer Behauptung gerichteten Klage stattzugeben, wenn die fraglichen Behauptungen mehrdeutig sind, und in einer der nicht fern liegenden Deutungsvarianten das allgemeine Persönlichkeitsrechts des von der Äußerungen Betroffenen verletzt wird. Zwei neuere Entscheidungen werfen allerdings nun mehr Fragen auf, als sie beantworten.

Oberlandesgericht Düsseldorf

Das Oberlandesgericht Düsseldorf  (Urteil vom 16.10.2013, Az. 15 U 130/13) hatte einen Fall zu entscheiden, in dem sich der Kläger, ein Anwalt, im Zusammenhang mit einem von ihm als Sachwalter begleiteten Insolvenzverfahren gegen eine Berichterstattung wehrte, in der u.a. seine Nähe zu einer Gläubigerbank dargestellt wird, welche angeblich besser gestellt worden sei als (andere) Anleihegläubiger. Dabei wandte sich der Kläger unter anderem auch dagegen, dass der Beklagte berichtet hatte: „Der Richter pochte auf Unabhängigkeit und holte einen neuen Sachwalter an Bord.“ Der Beklagte habe damit den Eindruck erweckt, der Antragsteller sei als Sachwalter bestellt, dann abberufen und durch einen anderen Sachwalter ersetzt worden.
Das OLG Düsseldorf sah dies nicht als Anwendungsfall der „Stolpe-Rechtsprechung“ des Bundesverfassungsgerichts und lehnte das Bestehen eines Unterlassungsanspruchs ab.

Gestützt auf die bisherige Rechtsprechung des BGH müsse bei verdeckten Aussagen unterschieden werden zwischen

  • der Mitteilung der Fakten, aus denen der Leser seine eigenen Schlüsse ziehen könne und solle, und
  • einer „verdeckten” eigenen Aussage, die der Autor durch das Zusammenspiel der „offenen“ Aussagen mache, beziehungsweise die er dem Leser als unabweisliche Schlussfolgerung nahe lege.

Wegen des Schutzes der Meinungs- und Pressefreiheit könne nur im zweiten Fall die „verdeckte” Aussage einer „offenen” Behauptung des Äußernden gleichgestellt werden und auch nur in diesem Fall unter engen Voraussetzungen das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen verletzt sein.

Amtsgericht München 

Auch in einem Fall des Amtsgerichts München (Urteil vom 03.08.2012, Az.: 158 C  24486/11) ging es um verdeckte Äußerungen. Dabei ging es um einen Online-Beitrag, durch den sich der Kläger, der ehemalige Vorstandsvorsitzende einer Holdinggesellschaft, in Zusammenhang mit einer „Sex-Party“ gebracht sah, die eine der Holding angehörende Vermittlerorganisation in Budapest veranstaltet hatte und an der neben den Vertriebsmitarbeitern auch ca. 20 Prostituierte teilnahmen.

In dem Beitrag hieß es: „K. war vom 1. Juli 2006 bis zum 8. Oktober 2007 Vorstand und Vorstandsvorsitzender der (…)-Tochter (…). In seine Amtszeit fiel im Juni 2007 die Sex-Party der Vermittlerorganisation (…) in Budapest. Das (…) hatte vor gut einer Woche erstmals darüber berichtet. K. schied laut Geschäftsbericht 2007 einvernehmlich aus dem Vorstand der (…) aus. In der Presse wurde damals als Grund genannt: ›unterschiedliche Auffassung über die zukünftige Geschäftspolitik.‹“

Das AG München lehnte den vom Kläger (nach Klarstellung im Artikel durch die Beklagte) geforderten Ersatz von Abmahnkosten ab. Die ihr von dem Kläger beigemessene Aussage, er stehe in irgendeiner Form in Zusammenhang mit der Sex-Party in Budapest und sei deswegen aus dem Vorstand ausgeschieden, sei der beanstandeten Berichterstattung als offene Aussage nicht zu entnehmen. Schon deshalb sehe das Gericht keine Anhaltspunkte dafür, die Grundsätze der Stolpe-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf den vorliegenden Fall anzuwenden. Hinzu komme, dass in der beanstandeten Berichterstattung nach Ansicht des Gerichts – jedenfalls offen – keine weiteren Deutungsvarianten enthalten sind, die zu einer Mehrdeutigkeit der streitgegenständlichen Aussage führen würden. Es handele sich vielmehr um eine Aneinanderreihung wahrer Tatsachen, die den beruflichen Werdegang des Klägers betreffen und die – offen – keinen darüber hinausgehenden Aussagegehalt aufwiesen.

Allerdings führte das Gericht weiter an, dass wie bereits in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, es nicht verkenne, dass die beanstandete Berichterstattung auch abweichend von ihrem offenen Aussagegehalt im Sinne des klägerischen Vortrags gedeutet werden kann. Diese bloße Deutungsmöglichkeit rechtfertigte nach Auffassung des Gerichts im vorliegenden Fall jedoch nicht die Annahme einer verdeckten Behauptung, die zu einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers führen könnte. Verdeckte Äußerungen seien im Interesse des durch die Meinungs- und Pressefreiheit geschützten freien Kommunikationsprozesses nur unter engen Voraussetzungen anzunehmen, nämlich nur dann, wenn sie sich dem Leser als unabweisbare Schlussfolgerung aus dem Zusammenspiel der offen getätigten Aussagen aufdrängen.

Bundesverfassungsgericht

Beiden Entscheidungen ist entgegen zu treten. Bereits das Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 19.12.2007, 1 BvR 967/05) hat in seiner Entscheidung zu den Auswirkungen der „Stolpe-Rechtsprechung“ bereits ausdrücklich „verdeckte Behauptungen“ den „mehrdeutigen Behauptungen“ mit den Worten gleichgestellt:

„Die Deutung einer Äußerung zielt auf die Ermittlung des objektiven Sinns, den die Äußerung aus der Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums bei Würdigung ihres Kontextes und der erkennbaren Begleitumstände hat. Fernliegende Deutungen (…) sind ebenso auszuscheiden (…) wie nicht tragfähige Annahmen einer verdeckten Äußerung (dazu vgl. BVerfGE 43, 130, 138,). Ist allerdings von einer verdeckten Äußerung auszugehen, so ist sie der weiteren Prüfung zugrunde zu legen. Zeigt sich, dass ein erheblicher Teil eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums der Äußerung neben den offenen auch verdeckte, zu den offenen Aussagen abweichende Inhalte entnimmt, so ist bei der weiteren Prüfung auch von diesen Inhalten auszugehen. Die Äußerung ist in diesem Sinne für mehrere Deutungen offen.“

Zwar war im zugrundeliegenden Fall lediglich eine Gegendarstellung gefordert, das BVerfG nahm allerdings dabei ausdrücklich auch auf Schadensersatz-, Entschädigungs-, Richtigstellungs-, Unterlassungs- und Klarstellungsansprüche Bezug und zeigte hier ein Stufenverhältnis auf:

  • Bei Schadensersatz-, Entschädigungs- oder Richtigstellungsansprüchen dürfte eine Verurteilung (wegen der zu befürchtenden Einschüchterungswirkung) nur erfolgen, wenn alle anderen „milderen“ Deutungen, die keine Verurteilung zur Folge hätten, mit nachvollziehbaren Gründen ausgeschlossen werden könnten;
  • Im Hinblick Unterlassungsansprüche zukünftiger Äußerungen würden solche Einschüchterungseffekte durch Maßnahmen des Persönlichkeitsschutzes nicht ausgelöst, soweit der Äußernde die Möglichkeit habe, die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts eines anderen ohne übermäßige Belastungen für sich durch eigenes Tun abzuwehren. Dies könne bei mehrdeutigen Äußerungen durch eine Klarstellung ihres Inhalts geschehen. Soweit eine nunmehr eindeutige Aussage keine Rechtsverletzung bewirke, entfalle ein Unterlassungsanspruch;
  • Enthält die Äußerung auch nach versuchter Klarstellung eine Persönlichkeitsverletzung oder weigert sich der Äußernde, der Aussage einen eindeutigen Inhalt zu geben, bestehe ebenfalls kein verfassungsrechtlich tragfähiger Grund, von einer Verurteilung zum Unterlassen nur deshalb abzusehen, weil die Äußerung mehrere Deutungsvarianten zulässt, darunter auch solche, die zu einer oder auch nur einer geringeren Persönlichkeitsverletzung führen. Der Abwägung mit dem Persönlichkeitsrecht seien dann vielmehr alle nicht entfernt liegenden Deutungsvarianten zugrunde zu legen, die dieses Recht beeinträchtigen.

Fazit

Die vom OLG Düsseldorf und AG München getroffenen Erwägungen sind aus den genannten Gründen abzulehnen.  Allgemein anerkannt ist, dass verdeckte Äußerungen, mit denen der Autor selbst eine bestimmte Deutung nahelegen will, zur Unterlassung berechtigen. Es besteht allerdings kein nachvollziehbarer Grund, bei verdeckten Äußerungen, die eine bestimmte verletzende Deutung zulassen, denen aber nicht anzusehen ist, dass der Autor selbst diese Deutung suggeriert, nicht zumindest eine Klarstellung zu fordern wenn diese problemlos möglich ist. Wird in derartigen Fällen eine ungeeignete Klarstellung vorgenommen oder eine Klarstellung verweigert, ist ein Schutzbedürfnis des Äußernden nicht gegeben und eine Verurteilung zur Unterlassung gerechtfertigt.

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