Das Amtsgericht München hat eine Klage wegen angeblich illegalen Filesharings abgewiesen und in diesem Zusammenhang zur Rechtsfigur der „tatsächlichen Vermutung“ kritisch Stellung genommen.
Die Recheinhaberin an einem Musikalbum, die anwaltlich von der Kanzlei Waldorf Frommer vertreten wurde, hatte den Inhaber eines Internetanschlusses, über den eine Urheberrechtsverletzung begangen worden war, abgemahnt. Nachdem der Anschlussinhaber zwar eine Unterlassungserklärung abgegeben, sich aber geweigert hatte, auch die geltend gemachten Abmahnkosten und Schadensersatz zu zahlen, kam es zur Klage.
Der Anschlussinhaber war zum fraglichen Zeitpunkt, in dem der illegale Download der Musikstücke stattfand, nachweislich bei der Arbeit und nicht zu Hause. Sowohl seine bei ihm wohnende, volljährige Tochter als auch sein volljähriger Stiefsohn, der im Besitz eines Schlüssels zur Wohnung war und regelmäßig zu Besuch kam, hatten beide im fraglichen Tatzeitpunkt die tatsächliche Zugriffsmöglichkeit auf den PC bzw. Internetanschluss.
Entscheidung des Gerichts
Das AG München hat die auf Schadensersatz und Ersatz der Abmahnkosten gerichtete Klage mit Urteil vom 07.05.2014 – Az. 171 C 24437/13 abgewiesen.
Die Auslegung und Umsetzung der vom BGH geschaffenen Rechtsfigur der „tatsächlichen Vermutung“ stellte nach Ansicht des Gerichts den Dreh- und Angelpunkt des Verfahrens dar, bereitete dem zuständigen Richter jedoch „diverse Schwierigkeiten“.
Denn seiner Ansicht nach sei weder dargetan noch anderweitig ersichtlich, aus welchen tatsächlichen Anknüpfungstatsachen die Schlussfolgerung gezogen wird, dass eine tatsächliche Vermutung dafür spreche, dass die Person des Anschlussinhabers für eine festgestellte Rechtsverletzung verantwortlich sei. Das Gericht kenne keine Studien oder andere wissenschaftliche Untersuchungen, in denen das Nutzerverhalten von Anschlussinhabern und anderen Personen mit faktischer Nutzungsmöglichkeit untersucht worden wäre. Schließlich gehe die These, dass regelmäßig der Anschlussinhaber in erster Linie seinen Internetanschluss vorrangig selbst nutze, zur vollen Überzeugung des Richters an der Lebenswirklichkeit vorbei.
Schließlich gelangte aber das Gericht nach Durchführung einer Gesamtbetrachtung unter Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalls zu der Überzeugung, dass die tatsächliche Vermutung, die zum Nachteil des beklagten Anschlussinhabers besteht, jedenfalls hinreichend erschüttert sei.
Da der beklagte Anschlussinhaber zum Vorfallszeitpunkt nicht anwesend war, könne von ihm keine substantiierte Darstellung erwartet werden, welche andere Person seinen Anschluss zum Vorfallszeitpunkt genutzt habe.
Entscheidend war hier nach Ansicht des Gerichts die Kombination aus der belegten Abwesenheit des beklagten Anschlussinhabers zum Vorfallszeitpunkt in Verbindung mit der Nutzungsmöglichkeit durch zwei andere Personen. Es bestand daher die durch Tatsachen belegte Möglichkeit eines alternativen Geschehensablaufs, wobei das Gericht diese Alternative für wahrscheinlicher als den von der tatsächlichen Vermutung gedeckten Geschehensablauf hielt.
Eine andere Beurteilung liefe – so das Gericht – auf eine Gefährdungshaftung hinaus, für die es nach Maßgabe der geltenden Gesetzeslage keine Ansatzpunkte gebe. Das Problem, dass es Rechteinhabern wie der Klägerin schwerfällt, gerade in Haushalten, in denen mehrere Personen zusammenleben und einen Internetanschluss gemeinsam nutzen, ihre berechtigten Ansprüche auch gegenüber einer bestimmten Person durchzusetzen, müsste ggf. rechtpolitisch angegangen werden.
Fazit
Trotz der vom BGH geschaffenen „tatsächlichen Vermutung“ zu Lasten des Anschlussinhabers bestehen grundsätzlich – auch vor den Münchner Gerichten – gute Aussichten, ein klageabweisendes Urteil zugunsten eines zu Unrecht in Anspruch genommenen Anschlussinhabers zu erringen.
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