Horch, horch – wie man den Streitwert versehentlich auf 40 Mio. EUR bringt

Über Kollegen zu lästern gehört sich eigentlich nicht – außer in ganz speziellen und außergewöhnlichen Einzelfällen und natürlich nur ohne Namensnennung. Das ist so ein Fall. Die Geschichte spielt vor einem deutschen Landgericht und wurde von einem bekannten Automobilhersteller eingefädelt. Dieser stört sich an diversen Merchandising-Artikeln des jetzigen Beklagten – angeblich markenverletzende Fälschungen – und hat diesen kurzerhand verklagt. Beauftragt wurde eine Kollegin aus einer beschaulichen Einzelkanzlei mit nicht gerade umfassender Expertise im Markenrecht. Macht nichts, es handelt sich doch eh nur um eine Bagatelle…

dachte man sich wohl. Dafür ist die Klage allerdings in jeder Hinsicht derart unzulänglich, dass man damit mit Sicherheit keinen Markenprozess gewinnen kann. Das ist mindestens blamabel für den bekannten Automobilhersteller (nachfolgend AUTO AG genannt), dessen Namen ich der Fairness halber nicht nenne – schließlich läuft das Verfahren noch.

Thema (50)Der Grund für das absehbare Fiasko für die AUTO AG bzw. die Haftpflichtversicherung der Kollegin ist jedoch ein anderer. Die Klage auf Unterlassung und Schadensersatz wurde mit der angeblichen Verletzung von vier Marken begründet, aus der nun ein höchst interessanter Antrag abgeleitet wird. Der Beklagte soll es nach der Vorstellung der AUTO AG nämlich aus diesem Grund künftig unterlassen, irgendwelche Kennzeichen zu benutzen, die als Marke für die AUTO AG eingetragen sind. Stand heute sind das alleine in Deutschland oder mit Wirkung für Deutschland 793 Stück. Es soll also nicht nur die Markennutzung schlechthin (unabhängig von einer Verwechslungsgefahr und den gekennzeichneten Gegenständen), sondern gleich in fast 800 verschiedenen Fällen unterlassen werden. Das kann man nur als sportlich bezeichnen – schließlich war es Absicht (hierzu sogleich).

Die einheitliche Fassung des Antrags täuscht dabei auf den ersten Blick über einen wesentlichen Umstand hinweg: Es handelt sich nach richtigem Verständnis um 793 kumulativ erhobene Markenverletzungsklagen. Das die gegebene Begründung diese Klagen zu über 99% nicht rechtfertigt, spielt keine Rolle. Dies ist lediglich eine Frage der Begründetheit.

Zunächst nur auf die mögliche Unbestimmtheit des Klageantrags angesprochen hat die Kollegin dann auch noch schriftlich bestätigt, dass die vorstehende Auslegung zutrifft und es sich um volle Absicht handelt (!). Der Antrag sei in dieser Form gerechtfertigt, weil die Handlung des Beklagten mit „Nutzung von Kennzeichen der AUTO AG ohne deren Zustimmung“ zu umschreiben und gewisse Abstrahierungen zulässig seien. Jeder Fachkollege, der die einschlägigen Urteile kennt, weiß, dass dies grober Unfug und vor allem gefährlich ist.

Der Streitwert für Markensachen liegt nämlich in der Regel bei mindestens € 50.000 – pro Marke. Wenn man (versehentlich) 793 Klagen kumulativ erhebt, errechnet sich jedenfalls theoretisch ein Gesamtstreitwert von immerhin 39.65 Mio. €. Da der Streitwert bislang von der Klägerin auf nur € 15.000 geschätzt wurde, hat man möglicherweise noch gar nicht darüber nachgedacht, dass das ganze Verfahren am Ende möglicherweise rund € 800.000,00 kostet – wegen ein paar Flaschenöffnern. Vielleicht wollte man aber auch nur die rund € 275.000 Gerichtskosten nicht vorstrecken. Man weiß es nicht genau. Fakt ist jedenfalls, dass die AUTO AG den Spaß bezahlen würde, weil höchstens 4 von 793 Klagen begründet sind, was gerade mal 0,5% ausmacht. „Wie gewonnen, so zeronnen“, müsste es dann heißen.

Bislang ist der Streitwert noch nicht festgesetzt und steht auch die mündliche Verhandlung noch aus. Mal sehen, ob das Gericht sich traut, den Streitwert so festzusetzen, wie es der Methodik im Markenprozess entspricht. Andernfalls müssen wir eben den Umweg über die Streitwertbeschwerde gehen (vgl. hierzu auch den Beitrag „Sofortige Beschwerde wegen zu niedrigem Streitwert bei Honorarvereinbarung zulässig„). Und wenn es am Ende doch nicht so kommt (wovon ich natürlich nicht ausgehe), war wenigstens der Gedanke daran schön.

Der Vorgang zeigt mir vor allem eines: Schuster bleib bei Deinen Leisten. In diesem Sinne allen Beteiligten viel Glück.

UPDATE vom 19.10.2012: Die vorstehenden Überlegungen haben wir natürlich auch beim Landgericht Stuttgart eingereicht und die Gegenseite in Kenntnis gesetzt. Heute morgen kommt ein Fax, dass der Termin zur mündlichen Verhandlung in der nächsten Woche auf Antrag der AUTO AG aufgehoben wurde  – angeblich wegen terminlicher Probleme. Die Wahrheit dürfte sein, dass man den Fehler erkannt hat und jetzt Zeit braucht, um eine Lösung zu suchen.

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Dr. Markus Wekwerth

Rechtsanwalt
Fachanwalt für:
Gewerblicher Rechtsschutz
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