Das Landgericht Stuttgart hatte in einem von uns im Namen eines international tätigen Baustoffherstellers angestrengten Verfahren (negative Feststellungsklage) – 17 O 699/10 – darüber zu befinden, wann im Falle einer weitgehenden Übereinstimmung von zwei Produkten unterschiedlicher Hersteller eine Produktnachahmung vorliegt. In seinem Urteil vom 30.06.2011 hat das Landgericht festgestellt, dass eine Produktnachahmung immer dann ausscheidet bzw. nicht wettbewerbswidrig ist, wenn die Übereinstimmungen der Produkte technisch bedingt sind und/oder der angemessenen Lösung einer technischen Aufgabe dienen.
In dem zugrundeliegenden Sachverhalt ging es um Folien zur Abdichtung und Auskleidung von Schwimmbecken. Diese bestehen im Wesentlichen aus zwei PVC-Bahnen, zwischen die eine Gewebematte eingebracht wird, die herstellungsbedingt die Oberfläche des Endprodukts bestimmt. Im Abmahnverfahren wurde unsere Mandantin auf Unterlassung der Nachahmung des Produkts des Mitbewerbers aufgefordert und hat daraufhin Klage auf Feststellung erhoben, dass die behaupteten Unterlassungsansprüche nicht bestehen. Der Vorwurf der Nachahmung war auf die Oberflächengestaltung sowie die Farbe des Endprodukts (blau, grün, beige und grau) bezogen. Diese Merkmale würden frei wählbare Gestaltungsmerkmale des Produkts aufweisen, anhand denen das angebliche Originalprodukt im Geschäftsverkehr erkannt und dem Hersteller zugeordnet würde. Dies war bereits deshalb fraglich, weil es auf dem Markt eine Vielzahl ähnlicher Produkte gibt und auch die Klägerin schon seit Jahrzenten Schwimmbadfolien dieser Art produziert und im Laufe der Jahre von einer einfachen Gewebeeinlage zu einem Drehergewebe übergangen ist, das – wie das Produkt der Beklagten – zu einer in gewisser Weise eigenartigen Oberfläche führt.
Das LG Stuttgart hat hierzu in seinem sehr ausführlichen Urteil festgestellt, dass eine wettbewerbswidrige Produktnachahmung nicht vorliegt und dieser Feststellung folgende allgemeingültigen Grundsätze vorausgeschickt:
- Ein Schutz vor Produktnachahmungen setzt voraus, dass das nachgeahmte Produkt über wettbewerbliche Eigenart verfügt und besondere Umstände vorliegen, die die Nachahmung als unlauter erscheinen lassen, z.B. Herkunftstäuschung und Rufausbeutung.
- Wettbewerbliche Eigenart liegt vor, wenn die konkrete Ausgestaltung oder bestimmte Merkmale des Erzeugnisses geeignet sind, auf die betriebliche Herkunft oder seine Besonderheiten hinzuweisen.
- Merkmale, die bei gleichartigen Produkten aus technischen Gründen zwingend verwendet werden müssen, können aus Rechtsgründen keine wettbewerbliche Eigenart begründen.
- Selbst wenn dem nachgeahmten Produkt wettbewerbliche Eigenart zukommt, also dessen Merkmale nicht technisch zwingend sind, darf dem Nachahmungsschutz kein Freihaltebedürfnis entgegenstehen. Dies ist bei Produktmerkmalen der Fall, die dem freizuhaltenden Stand der Technik angehören und – unter Berücksichtigung des Gebrauchszwecks, der Verkäuflichkeit der Ware sowie der Verbrauchererwartung – der angemessenen Lösung einer technischen Aufgabe dienen.
- Ein Freihaltebedürfnis scheidet aus, wenn eine Vielzahl an sich austauschbarer Gestaltungselemente in allen Punkten identisch oder nahezu identisch nachgeahmt werden oder auch nicht technisch bedingte Elemente übernommen werden.
Unter Zugrundlegung dieser Grundsätze hat das LG Stuttgart zunächst offen gelassen, ob die durch die Gewebeeinlage bedingte – aber grundsätzlich beeinflussbare – Oberflächengestaltung des Endprodukts technisch zwingend ist (was zwischen den Prozessparteien heftig umstritten war). Die – streitentscheidene – Verwendung von frei verkäuflichem Drehergewebe als folienverstärkende Einlage stelle jedenfalls eine angemessene technische Lösung dar, gehöre also zum Stand der Technik. Das – möglicherweise nicht technisch bedingte – Durchscheinen der Gewebestruktur an der Oberfläche stelle dabei eine legitime Produktgestaltung dar, um die verwendete technische Lösung deutlich zu machen und auf das eingesetzte Gewebe hinzuweisen.
Gleiches gelte auch für die zweite streitgegenständliche Folie mit rutschhemmender Prägung. Auch wenn verschiedene Prägungen mit ähnlichem Effekt denkbar seien, dürfe die von beiden Seiten verwendete geometrische Form nicht monopolisiert werden. Die Farbgebung wurde schließlich als im Schwimmbadbereich üblich und damit zulässig angesehen, da die beschränkte Anzahl der zur Verfügung stehenden sanften Farbtöne ein Freihaltungsbedürfnis begründe.
Schließlich schließt der Vertrieb der Produkte beider Seiten über Fachbetriebe nach Auffassung des Gerichts auch Herkunftsverwechslungen aus, weil dadurch sichergestellt sei, dass der Erwerber eine informierte Entscheidung treffe. Ggf. später im Gewährleistungsbereich oder im Rahmen von Instandsetzungen auftretende Verwechslungen und fehlerhafte Zurechnungen der Produkte seien demgegenüber zumutbar, zumal auch in solchen Situationen Fachfirmen oder Sachverständige beteiligt seien. Eine Rufausbeutung scheitere – einen besonderer Ruf des Produkts unterstellt – an denselben Erwägungen. Auch ein guter Ruf könne nicht dazu führen, dass der freie Stand der Technik bzw. eine angemessenen technischen Lösung zugunsten eines Einzelnen monopolisiert wird.
Interessant ist, dass das Gericht der vorgerichtlich abgmahnten Klägerin auch die Erstattung der ihr entstandenen Verteidigungskosten zugesprochen hat. Hierfür wurden die aus dem Bereich der unberechtigten Schutzrechtsverwarnung bekannten Erwägungen herangezogen, was aufgrund der vergleichbaren Interessenlage jedenfalls bei einer Abmahnung wegen Produktnachahmung angezeigt sei. Erstattungsfähig seien sowohl die Kosten des Abwehrschreibens als auch der Hinterlegung einer Schutzschrift.
Artikel als PDF speichern